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AutorenbildAfrican Voices

Geschichte(n) ohne Lücken

In der Schweiz findet ein vorsichtiges, herantastendes Umdenken statt. Die eurozentrische Sichtweise, dass beispielsweise die Wiege der Philosophie in Griechenland liegen soll, wird je länger je mehr hinterfragt, wie dies u.a. in der Sternstunde Philosophie vom 11. März 2023 debattiert wurde. Die Folge "Jenseits von Europa - Eine neue Weltgeschichte des Denkens" widmet sich dem Thema der Geschichte ohne Lücken, das Anliegen, für welches auch African Voices einsteht. International bekommt dieser geweitete Blick bereits das nötige Publikum, z.B. im Podcast "History of Philosophy without Any Gaps"(mit ca. 30 Mio. Aufrufe) oder im TED-Talk aus dem Jahr 2009 mit Chimamanda Ngozi Adichie (The Danger Of A Single Story) mit weiteren 33 Mio. Aufrufen.


Auf der Suche nach dem Menschsein wollen wir aus Platons Höhle heraustreten und den Blick frei machen. Ein geistig offener Horizont bedeutet, im Menschsein nach allen möglichen Inspirationen zu suchen und diese letztlich auch zu finden. African Voices beschreitet einen praktischen Weg, um den geistigen Reichtum des afrikanischen Kontinents für alle sichtbar zu machen, z.B. anhand der Literatur afrikanischer Schriftsteller*innen. Diese nimmt African Voices in den Blick, weil das Geschichtenerzählen nur ohne Lücken vollständig ist, weil Vielfalt berührt, weil ihre Weisheit inspiriert und weil unsere Möglichkeiten des Zuhörens und Wahrnehmens von afrikanischen Stimmen (African Voices) geschärft wird. Eine Reise also, die anregt, eine neue Weltsicht ermöglicht und den Weg für einen wirklichen Austausch frei macht.


African Voices organisiert vom 15. Mai - 3. Juni 2023 die literarische Ausstellung "The Danger Of A Single Story". Der Fokus liegt auf den zehn nigerianischen Gegenwartsautor*innen im nachfolgenden Bild. Dabei werden zwei Denker*innen porträtiert, zehn Werke vorgestellt und anhand Buchzitaten zum Nachdenken angeregt.

Die Vielfalt dieser Geschichten wird mit 16 Postern in der Stadtbibliothek Winterthur wie auch in der Buchhandlung Obergass Bücher GmbH ausgestellt. In der Buchhandlung Obergass Bücher GmbH können die Bücher zudem gekauft werden.


Der Blick in die Geschichte

Barbara Bleisch erzählt in der Sternstunde Philosophie davon, dass ihr Studium geprägt war von europäischen Philosophen. Ergänzt wird dies mit dem Hinweis auf einen Artikel der New York Times aus dem Jahr 2016, der für Furore gesorgt hat (Bryan W. Van Norden, Jay L. Garfield: If Philosophy Won't Diversify, Let's Call It What It Really Is). Unter Philosophie wird bis heute stillschweigend eine europäische Philosophie subsummiert. Weshalb wird anderen Weltregionen, besonders aber Afrika, eine philosophische Leistung aberkannt? Die Haltung, dass Europa als Nabel der Welt verstanden wird, muss hinterfragt werden und beschränkt sich leider nicht nur auf die Philosophie.


Die Fragen stehen im Raum: Wollen wir, da wir uns dieser eingeschränkten Sichtweise bewusst sind, diese einfach so hinnehmen? Oder ist es nun an der Zeit, in einen Dialog des Zuhörens zu treten, so dass wir letztlich uns selbst entfalten können?


Der Reichtum von Geschichten

Eine besondere Bedeutung in der literarischen Ausstellung "The Danger Of A Single Story" hat Akwaeke Emezi. Emezi's Bücher (u.a. in den Romanen Der Tod des Vivek Oji oder Süsswasser) legen Konstruktionen offen, ermöglichen neue Weltsichten, fernab von Frau- oder Mannsein, das letztlich das Menschsein hinterfragt. Die Weisheit und die philosophischen Gedankengänge werden besonders im persönlichsten Buch (Dear Senthuran - a black spirit memoir) offensichtlich.


In Süsswasser führt Akwaeke Emezi das Konzept der Ọgbanje aus der nigerianischen Mythologie ein, das sich auf die Geistwelt der Igbos beruft. Im Science-Fiction Roman von Nnedi Okorafor (Lagune) ist die Gött*innen-Welt der Igbos präsent. Können neue spirituelle Weltsichten aus Afrika unser Leben bereichern?


Das Konzept der Ọgbanje hilft Emezi als nonbinärer Person, sich selbst zu verstehen und zu akzeptieren. Die Entdeckung dieser spirituellen Werte und das Begreifen war für Emezi ein steiniger Prozess, der durch Kolonialisierung und Christianisierung verschüttet ist. Die Rückbesinnung auf diese traditionellen Erklärungsversuche wurde und wird bis heute in Nigeria und weltweit in der Tendenz als wertlos abgetan. Diese Wertigkeit von menschlichen Erklärungsversuchen ist hinderlich, wenn es darum geht, Neues verstehen zu wollen. Diese Vorverurteilung von traditionellem Wissen hinderte Emezi im Weg zur Selbstfindung.


Möglicherweise helfen diese oder ähnliche Konzepte und bereichern unsere Weltsicht, möglicherweise helfen sie nicht. Was aber bestehen bleibt: Die menschlichen Erklärungsversuche sind vielfältig - solche Erkenntnisse tragen uns weiter im Umgang mit Menschen und fördern eine offene Geisteshaltung.


Im Roman von Abi Daré (Das Mädchen mit der lauternen Stimme) zeigt das lauterne Mädchen, wie ihre Realität sie nicht verschlucken kann, wie sie kämpft, stark bleibt, trotz einem schwierigen Start in die Ehe als dritte Ehefrau und später als versklavtes Hausmädchen. Sie macht mit einem ansteckenden Optimismus und Kreativität aus jeder Situation das Beste. Sie hat die Fähigkeit, Freundschaften zu schliessen, die tragfähig sind. Die Hoffnung und der Glaube an sich selbst, wie an die Gemeinschaft, bringt sie näher zu ihrer Berufung.


Die Lebensgeschichte von Akwaeke Emezi zeigt, dass es sich lohnt, sich zu verlieren, die Durchquerung der eigenen Wüste in Kauf zu nehmen und danach neue Welten zu entdecken. Geschichten wie die von Abi Daré geben uns Mut und Hoffnung und stellen die Gemeinschaft neu in den Fokus. Biografien von afrikanischen Autor*innen wie auch deren Geschichten bereichern.

Für Suchende nach mehr Inspirationen bietet die Ausstellung "The Danger Of A Single Story" weitere Einblicke.


Afrikanische Geschichten können mehr als nur spirituelle Weltsichten offenlegen, sie dienen uns als Portale in neue Welten, die einen Aufbruch ins Ungewisse begleiten. Wenn Geschichten als neue Möglichkeitsräume verstanden werden, die Erfahrungen anderer bündeln und uns erlauben, uns darin zu spiegeln, um zu erfahren, was oder wer wir sind, können wir aus unseren Realitäten heraustreten und in neue Welten eintauchen, um schliesslich einen Schritt näher zu uns selbst zu gelangen. Emezi beschreibt es so: "when it means stepping out of one reality to be swallowed by another, I continue move toward myself" (Dear Senthuran, S. 20).


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