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African Book Festival Berlin

Philosophieren mit afrikanischen Autor*innen über Vorurteile, Identität, Freiheit & Schweigen


In unterschiedlichen Formaten diskutieren afrikanische Autor*innen am African Book Festival vom 25. - 27. August 2023. Nachfolgend Fragmente aus vier beeindruckenden Podiumsgesprächen mit 10 afrikanischen Autor*innen.

 

Woman Writing Against Prejudice

Podiumsdiskussion mit Leila Aboulela, Bisi Adjapon, Khadijah Abdalla Bajaber

Drei Frauen verweben in der Podiumsdiskussion persönliche und berufliche Vorurteile, denen sie begegnen und hoffen auf eine offenere Zukunft.

Das Schreiben, so Bisi Adjapon, ist immer inspiriert durch das Leben. Vorurteile begegnen ihr an unterschiedlichen Orten. In Amerika wird sie gefragt, was sie denn hier mache oder es werden ihr Kriegsgeschichten aufgetischt (obwohl selbst aus keinem Land im Krieg). Und nein, sie ist nicht zum Studieren nach Amerika gekommen - ihr Studium hat sie bereits im Senegal beendet! Selbst Erwachsene kommentieren afrikanisches Haar oder fassen es an! Im Senegal am Strand wird die ghanaisch-nigerianische Adjapon von der Polizei aufgegriffen und verdächtigt, als Prostituierte zu arbeiten, als sie in männlicher Begleitung unterwegs ist. Sexuelle Vorurteile betreffen v.a. afrikanische Frauen.

Khadijah Abdalla Bajaber erzählt, dass innerhalb ihres Heimatlandes Kenia zwischen Nairobi und Mombasa Vorurteile herrschen. Leila Aboulela ergänzt, dass sogar innerhalb ihrer intellektuellen Familie ihr Weg als Autorin nicht immer leicht war.


Die drei Frauen sind sich aufgrund der persönlichen Geschichten ihrer Verantwortung im Umgang mit Stereotypen bewusst und verfolgen unterschiedliche Strategien. Der Aussenblick, den man durch Reisen oder Migration gewinnt, so Khadija Abdalla Bajaber, ermöglicht eine Klarheit. Sie ist vorsichtig, was sie schreibt. Einerseits will sie keine Stereotypen reproduzieren, andererseits will sie sich auch nicht von anderen instrumentalisieren lassen. Über gewisse Dinge schreibt sie nicht mehr.


Leila Aboulela sieht die Verantwortung ebenso in der Buch-Industrie, die gewisse Denkrichtungen publiziert und andere nicht fördert. Autor*innen stehen in Interessenskonflikten und sind nicht in allem frei zu schreiben, was sie wollen. Aber sich deswegen den Mund verbieten zu lassen hiesse, nicht mehr zu schreiben. Ein Buch findet immer Kritik und erfüllt nie die Erwartungen aller.


«We writers don't care what people think about us».

Leila Aboulela


Bisi Adjapon ist amüsiert, welche Schlüsse unterschiedliche Menschen aus ihren Romanen ziehen. Lachend ergänzt sie, das nicht immer alles eine tiefe Bedeutung hat.


Für den künftigen Umgang mit und den Kampf gegen Stereotype ist Leila Aboulela optimistisch. Sie stellt fest, dass sich seit den 1960er Jahren einiges getan hat. Damals wurde den afrikanischen Romanen ein Glossar hinten angestellt, heute findet dies weniger statt. Vieles scheint klarer zu sein - Biafra muss wegen «Half of a Yellow Sun» von Chimamanda Ngozi Adichie nicht mehr erklärt werden. Aboulela geht davon aus, dass dies eine Generationenfrage ist und hofft auf eine nachhaltige Veränderung. Die transnationale Black Lives Matter Bewegung hat langfristige Veränderungen mit sich gebracht.

Für Bisi Adjapon ist genau George Floyd ein Grund, weshalb die Gesellschaft mehr afrikanische Literatur braucht - für alle und besonders für Kinder und die künftigen Generationen! Die Frage nach der Repräsentation und wer wen vertritt, ist dabei äusserst wichtig. In einem Beispiel erzählt sie, dass nicht sie, sondern ein Amerikaner in einem Austausch über Ghana referiert hat. Die afrikanische Perspektive einzubringen ist unabdingbar! Aus Angst vor Konfrontation (z.B. wegen Offenlegen rassistischer Strukturen) wird die afrikanische Perspektive häufig weggelassen. Aber nur weil sich weisse Menschen angegriffen fühlen, heisst dies nicht, dass die afrikanische Perspektive ausgeklammert werden kann. Adjapon ergänzt mit einem Lachen:


«Being uncomfortable is good for growth».

Bisi Adjapon


Wachstum und Veränderungen geschehen meist nicht aus der Komfortzone. Adjapon schlussfolgert: Weshalb soll Schwarzen Menschen Rassismus zugemutet werden und weissen Menschen nicht die Auseinandersetzung mit dem rassistischen System?


Für die Zukunft ist zu wünschen, dass der Entscheid, was publiziert wird nicht mehr nahezu ausschliesslich ausserhalb Afrikas bestimmt wird; Rezensionen afrikanischer Bücher und deren Publikationen sollen künftig einen relevanten Platz in der Literatur einnehmen.

 

Identity And Violence

Podiumsdiskussion mit: C.A. Davids, Haji Jabir, Tete Loeper

Welche Bedeutung hat Identität? Kann Identität vom Schicksal getrennt werden? Welche subtilen Formen der Gewalt haben die Autor*innen erfahren?

Die persönlichen Erfahrungen von C. A. Davids zeigen, dass Identität in Südafrika das Schicksal besiegelte, denn Identität und race sind eng verstrickt. Aufgrund dessen lehnt sie eine «racial identitity» ab, denn es git so viele wichtigere Rollen und Identitäten in ihrem Leben.

Tete Loeper mag ihre fluide Identität als Ruanda-Deutsche, das die Zwischenräume mit möglichen Rollen füllt. Identität schafft Verbundenheit mit Geschichte und Kultur.

Haji Jabi ist geprägt durch seine frühe Migrationsgeschichte. Er hat Eritrea mit zwei Jahren verlassen und ist in Saudi-Arabien aufgewachsen. Er fühlte sich selbst als Saudi, bis die Saudis ihm sagten, dass er keiner ist. Nach Eritrea konnte er nicht mehr zurück. Heimatlos findet er seine Identität im Schreiben.


Identität ist mit Gewalt verknüpft, die unterschiedliche Gewaltformen annehmen kann. Für Haji Jabir ist eine der schwersten Gewaltsformen, die Ignoranz oder das Nicht-Gesehen-Werden. Jegliche Reaktion läuft so ins Leere.


«Not being seen is one of the worst acts of violence I know».

Haji Jabir


Tete Loeper verweist auf den ruandischen Genozid, der vor Augen führte: Identity matters! Eine Identität, die durch den Kolonialismus verhärtet wurde. Die ruandische Armee beendete mit Gewalt den Genozid, die UN sah tatenlos zu. Loeper reproduziert keine politisch konstruierte Identität mehr. Auch wenn sie heute noch beharrlich gefragt wird, ob sie Hutu oder Tutsi sei: Loeper ist Ruanderin.

Für Haji Jabir ist Identität ein Privileg, sie zieht eine Grenze zwischen Zugehörigkeit und Ausschluss. Weil Identität meist von aussen zugeschrieben wird, gibt sich Jabir selbst keine. Solange er keine Identität wählt, existiert sie für ihn nicht. Als geeignete Form des Widerstands wählt Jabir das Schreiben.

 

Freedom To Write. Writing To Be Free.

Podiumsdiskussion mit: Tendai Huchu, Haji Jabir, Laila Lalami

Was bedeutet Freiheit? Gibt es Grenzen von Freiheit? Und welche Missionen werden mit dem Schreiben verfolgt?

Die vielschichtige Freiheit des Wortes, so Laila Lalami, wird durch die politische oder ökonomische Freiheit gerahmt. Hinzu kommt die persönliche Freiheit, die immer einer aktiven Eigenleistung bedarf. Tendai Huchu ergänzt, dass er sich innerhalb der Familie für den eigenen Bestimmungsweg frei machen musste. Haji Jabir sieht im Schreiben die grösste Art von Freiheit, weil er diesen Weg selbst bestimmt hat.


Frei zu sein bedeutet für alle drei, Geschichten zu erzählen, die nicht erzählt werden. Sie machen das Unsichtbare sichtbar. Tendai Huchu beleuchtet in seinem Buch das arme, chaotische Edinburgh und zeigt, das Vergangenes und Gegenwärtiges koexistieren. Aufgrund der eurozentrisch dominierten Wahrnehmung wird afrikanischen Städten Chaos und europäischen Ordnung attestiert. Mit seinem Buch zeigt er eine neue, gegenteilige Betrachtungsweise.

Haji Jabir bewegt, dass Eritrea isoliert ist und Tötungen von migrierten Eriteer*innen die meisten Menschen kalt lässt. Stattdessen wird in den Medien die Frage erörtert, was diese Eritreer*innen überhaupt in einem fremden Land tun. Jabir schreibt gegen das Vergessen an und benennt, was nicht benannt werden darf. Er erzählt, dass sogar der Name des eritreischen Präsidenten unter Eritreer*innen nur geflüstert wird. Jabir spricht Klartext um besonders Eritreer*innen zu zeigen, dass sie zumindest in ihren Gedanken frei sein können.

Laila Lalami zeigt im Buch «Die Anderen» in neun Perspektiven die unterschiedlichen Beweggründe auf ein Ereignis. Sie beschäftigt sich mit den «Anderen» und nimmt Bezug darauf, dass in Büchern das Weisssein der Figuren stillschweigend angenommen wird. Race hingegen wird in Romanen meist eingeführt und benannt (z.B. die Afro-Amerikanerin, der Mexikaner, die Inderin). Lalami verlässt diesen Pfad, der für ein weisses Publikum schreibt. Sie nutzt ihre Kreativität, um durch die unendlich vielen Möglichkeiten an Kontexten race einzuführen, ohne diese unbeholfen benennen zu müssen.


Laila Lalami sagt, das erste Buch erlaubt die grösste Freiheit, danach muss der individuelle Blickpunkt immer wieder neu für sich selbst definiert werden. Sie stellt eine Analogie zum Brandmarken von Vieh her, das unfrei ist und als Besitz markiert wird. Autor*innen sollten nicht gezwungen werden, im immer gleichen Genre zu schreiben. Klar ist: Das Schreiben löst immer eine Reaktion aus. Schreiben ist folglich ein Akt des Mutes.


«There is absolut no reason to be loved!»

Laila Lalami

 

Silence without End. Like the Ocean.

Podiumsdiskussion mit: C.A. Davids, Fred Khumalo, Abdelaziz Baraka Sakin

Schweigen zu brechen bedeutet Geschichten sichtbar zu machen, Wunden zu heilen und erste Schritte für Veränderungen einzuleiten.

Schweigen zu brechen ist zentral, besonders für Abdelaziz Baraka Sakin aus dem Sudan. Nicht nur, weil die Menschen seiner Community marginalisierte Jobs ausführen, sondern auch als sogenannt «bildungungsfern» gelten.


«When you keep silence, you agree».

Abdelaziz Baraka Sakin


In Zanzibar wird ein Sklavensystem aufrechterhalten, das Araber*innen mehr Rechte einräumt. Der Sudan wird häufig einseitig als arabisch-muslimisches Land porträtiert, obwohl es im Sudan über 100 verschiedene Sprachen gibt. Vor einer arabisch-muslimischen Erzählung existierten afrikanische Religionen. Es ist eine Frage der Macht, welche Geschichte erzählt wird.


Das Schweigen zu brechen hat heilende Wirkung, so Fred Khumalo. Das Leben ist nicht friedlich, Schmerz fordert uns heraus und lässt uns wachsen. «Bevor wir sterben, tanzen wir» erzählt vom 1. Weltkrieg und den verschwiegenen 25'000 Südafrikanern, die für England kämpften und mit einem vagen Versprechen geködert wurden, um bei einem Sieg Englands möglicherweise Unterstützung gegen die Ungerechtigkeiten in Südafrika zu erhalten. Lasst uns das Schweigen brechen!, so die Aufforderung von Khumalo.


Die Verantwortung des Schreibens zeigt sich darin, dass es kein Schreiben ohne vorheriges Lesen gibt und dem Schreiben immer eine Recherche vorangeht. C.A. Davids betont wie wichtig es besonders für Kinder ist, die eigene Geschichte zu kennen und wie folternd es ist, wenn die vorherige Generation ihre Geschichte zurückhält. Deshalb ist für sie das Ziel des Schreibens in Schweigen gehülltes Wissen zu offenbaren. Fred Khumalo ergänzt, dass die Geschichte uns zwar Daten liefert, die Literatur aber die Beweggründe der Menschen und die Stimmung zu enthüllen vermag.


Ein öffentlicher Weg der Aussprache wählte Südafrika und auch Ruanda, nicht aber Deutschland (oder Europa). Der TRC-Prozess in Südafrika (Truth and Reconciliation Commission) begann verheissungsvoll und betraf alle, auch die Eliten. Der TRC-Prozess wurde durch die Eliten gestoppt, als die Wunden bereits offen lagen. Fred Khumalo sieht in einer öffentlichen Wahrheits- und Versöhnungskommission wichtige Elemente für die Heilung. Um Wunden zu heilen, müssen sie allerdings gesäubert werden, bevor sie verbunden werden.


«You have to clean a wound before you cover it».

Fred Khumalo




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